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Kulturkritik im Sand

In den Koordinaten N 3748 W 115 55 stand Wasser. Wir lebten aus Geldgründen im Auto, ohne Klo; wir hausten in menschenleeren Gegenden. Flugzeuge flogen im Sturzflug über uns hin. Bomben schlugen neben uns ein. Nachts war der Himmel vom Geschützfeuer hell. "Sie üben den Krieg." Da und dort hingen Plastikgerippe in den Fenstern, Türen. Man gedachte der Toten.

Eine moslemische Prinzessin hatte notiert, sie sei in die Slums gegangen, sie habe Frauen abhalten wollen, ihre Töchter von einem Barbier verstümmeln zu lassen, es stände nicht im Koran, dass Mädchen Klitoris und Schamlippen weggeschnitten werden müssen. Die Frau habe geantwortet: "Mohammed hat es mündlich gesagt."

"Gegen Fanatiker helfen keine Argumente."

Ein Christ litt, weil er beständig onanieren musste, Sexdrang verspürte, bis er Bibelstellen gefunden hatte, mit denen er belegen konnte, dass er ein Messias in Zeiten der Apokalypse sei, er baute Machtstrukturen auf, die in einem Flammeninferno mit Toten endeten.

Wir waren seit Monaten unterwegs: Die Staaten, die wir durchquerten, waren für uns einsame Landschaften, Supermärkte, Parkplatzgespräche. Als wir eine Adresse erhalten hatten, ließen wir Canyons und Las Vegas abseits, um zwei Tage bei einem Mann hausen zu können, der in einem Radio arbeitete, Musik sammelte, Musik produziert hatte.

Ich hatte in einer Touristeninformation eine Inschrift gelesen und gesagt: "Oh! You have a theatre!" Es war ein Kinosaal; ich hätte Filme über Landschaften, die uns umgaben, ansehen können. Es standen vereinzelt Kunstwerke am Straßenrand. Jeder Ort hatte eine Bibliothek mit Internetanschluss und sauberen Toiletten. In den Zeitungen standen wenig Informationen. Es gab Bücherläden. Wir hörten: Es gibt Fernsehkanäle für "Unabhängige Filme." Die amerikanische Kunstszene war mit Hilfe eines umfangreichen Managements ins internationale Gespräch gebracht worden.

Ein Interview mit dem Bertelsmannchef im Fernsehen hatte bezeugt: es ging auch in Deutschland um den Aufbau von Machtstrukturen, nicht um Literatur-, Kunst- und Kulturförderung. Ein Autor hatte behauptet, es würden im Bertelsmannkonzern Akten über Autoren geführt, ein Autor, der gefördert werde, müsse berechenbar und folgsam sein, seine Texte müssten leicht übersetzbar sein, sie dürften keine Tabus brechen. Es lohne sich marktwirtschaftlich nicht, in unbekannte Künstler zu investieren, die älter sind als fünfunddreißig, maximal vierzig Jahre... Es sei Tradition, dass Frauen Trivialliteratur und Krimis schreiben, die Markterwartung müsse bedient werden. Eine intellektuelle Autorin habe in Deutschland nur eine Chance, wenn sie männlich wirke. (Ausnahmen: Autorinnen aus Österreich) Ich zog aus Protest Seidenröcke an, schminkte die Lippen rot.

Die Facharbeiterkultur hat in Deutschland problematische Folgen: ein Künstler müsse mindestens zehn Jahre in gleicher ART gearbeitet haben, um als Künstler überzeugend zu wirken. Das widerspricht aber der Auffassung vom Künstler als Seismographen, der auf gesellschaftliche Prozesse reagiert, Orientierungsreaktionen auslöst, Weckreize setzt.

Multikulti heißt in Deutschland gewöhnlich: Kulturen verschiedener Nationen, nicht auch: eine vielschichtige deutsche Kultur. Nach Innen wirken kulturpolitische Vorurteile/Reglements oft zerstörerisch wie Faschismen. Nicht nur für Künstler. Auch für Künstler. Künstler sind laut Legenden Inbegriff eines selbstbestimmten Lebens. Diese Vorstellung erzeugt Neid sogar in denen, die als Kunstmittler von Steuergeldern fair bezahlt sind; es tröstet sie, dass Künstler von ihnen abhängig sind, "Wie von einem amerikanischen Mäzen."

Ich hörte Sätze: "Die Armut eines Künstlers ist der Feuertest, ob er ein wirklicher Künstler ist, nicht korrumpiert ist, nicht resigniert." Kein Ingenieur, Politiker, Arzt, Pfarrer... muss unbezahlt arbeiten, um in der Gesellschaft eine Chance zu haben, als glaubwürdig gelten zu können. Die Mitleidigen verweisen auf "van Gogh", der zu Lebzeiten arm und verzweifelt leben musste, sich ein Ohr abschnitt. Museumsläden verkaufen nun Plastikohren, um an das Leiden eines Künstlers, der Sonnenblumen gemalt hatte, die Augen ähnelten, zu erinnern.

Textveröffentlichungen werden oft nicht bezahlt, Ausstellungen werden gewöhnlich nicht bezahlt. Stipendien und Preise sollen Arbeitskosten und das Existenzminimum absichern - können. Es gibt nur wenige. Ein Vorjuror kann Bewerbungsunterlagen wegen Formfehlern oder nach Gutdünken aussortieren, ohne den Bewerber über den Vorgang informieren zu müssen. Immer mehr Kunstinstitutionen in Deutschland verlangen für die Bearbeitung von Bewerbungen für öffentlich ausgeschriebene Stipendien, Kunstpreise, Ausstellungen von den auf Hilfen angewiesenen Künstlern nicht nur Rückporto sondern Bewerbungsgebühren, - ohne die Gegenleistung einer begründeten Absage zu erbringen, die ein Beweis dafür wäre, dass gewissenhaft gearbeitet wurde, und eine Information wäre, ob eine Neubewerbung (mit erneuter Zahlung) Sinn hat. Gerüchte sagen, man könnte reich werden, in dem man Kunstpreise international ausschreibt, Bewerbungsgebühren kassiert.

Juroren sind verpflichtet, über Auswahlprozesse zu schweigen, aber sie sind Menschen und reden gelegentlich, auch wenn sie Ärger riskieren. Im extremsten Fall waren Bewerbungsunterlagen gänzlich verschwunden, den Juroren wurde ein Zettel mit dem Namen eines Bewerbers hingelegt und - sie entschieden. "Der Rechtsweg ist ausgeschlossen." Es wurde von Juroren erzählt, die sich rächten, weil der Künstler ihren Annäherungsversuchen ausgewichen war. "Der Rechtsweg ist ausgeschlossen."

Ein Großteil der fanatischen Islamisten sind laut Biografien die, die von islamistischen Fanatikern zuvor schikaniert, gedemütigt worden waren. Sie wechselnden die Seite. Ein Galerist, der Künstler mit Verträgen knebelte, nannte sich ein "verkrachtes Malschwein." Der Geschäftsführer der Berliner Akademie der Künste sagte als amtierender Präsident, er sei dagegen, dass Künstler vom Staat finanziert werden, er wird vom Staat finanziert. Der Geschäftsführer der Sächsischen Akademie, der Autor hatte werden wollen, fragte, wofür Künstler bezahlt werden wollen, wenn sie ein Bürgergeld als Grundgehalt fordern, dass ein Existenzminimum absichern könnte; er wird finanziert. Kunstakademien erhalten Staatsgelder. Ihre Programme sollen programmatisch wirken, sie scheinen eine Summe von Einzelveranstaltungen. Die Zahl der Mitglieder sei gesetzlich beschränkt, neue Mitglieder könnten nur aufgenommen werden, wenn andere weggestorben sind, niemand dürfe sich selbst bewerben oder von Außenstehenden vorgeschlagen werden. Die Kunstakademien sind geschlossene Gesellschaften.

Es ist kein Problem, dass Künstler nebenher jobben müssen, es vermittelt Sozialerfahrungen, es ist ein Problem, dass es in Deutschland fast keine Teilzeitjobs/Jobs gibt. In einer Zeit, in der komplizierte Beziehungsnetze aufgebaut, Intrigen geschmiedet werden, nur um einen fair bezahlten Job kriegen zu können, wirkt es irrsinnig, dass Künstler um artfremde Jobs kämpfen müssen, nur um das Existenzminimum und Arbeitskosten absichern zu können, obwohl ihre Arbeiten gesellschaftlich anerkannt sind. In Zeitungen stand: "Acht Millionen zusätzlich für Kunst und Kultur", die Leser dachten: Künstler erhalten Geld. Es war Geld für die Erhaltung von Bauwerken. Als mich in Amerika die Katastrophenmeldung erreichte, dass die Semperoper unter Wasser stände, erreichte mich gleichzeitig die Nachricht, dass nun gar keine Hoffnung mehr bestände, den Kulturabbau in Deutschland mit Protesten stoppen zu können. Alte Sandsteingebäude hatten begonnen, sich aufzulösen und mussten saniert werden. "Kulturgelder werden dort versickern." Die beschworene Deutsche Kultur ist eine Art Friedhofskultur: Gedenkfeiern für Tote, - Plebejersituationen für Lebende.

Politiker behaupteten, Künstler würden unterstützt, in dem ihre selbst gemalten Bilder nicht dem Privat-, sondern dem Betriebsvermögen zugerechnet werden, sie dürfen arbeiten und Arbeitslosengeld2 beziehen, - sie verlieren das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre, sie müssen einem imaginären Arbeitsmarkt beständig -orts- und zeitnah- zur Verfügung stehen, ohne diesen Situationen durch Arbeitsleistungen entgehen zu können. Auch Ausstellungen im Bundeskanzleramt wurden nicht honoriert, Kunstsammlungen erwarteten Geschenke... Der Kulturrat hatte versprochen, das Problem im Mai zu diskutieren, aber es seien so wenige Mitglieder zur Versammlung erschienen, dass die Diskussion auf den Oktober habe verschoben werden müssen.

Ärzte behandeln sich untereinander kostenfrei. Künstler müssen Eintritt in Kunstveranstaltungen zahlen. Kunstveranstaltungen wie Rohkunstbau fordern Eintrittspreise, die sich u.a. Künstler nicht leisten können.

Gesellschaftsstrukturen wirken wie Glaubensfanatiker, man scheint sie mit Vernunftsargumenten nicht verändern zu können. Menschen in Kulturausschässen wollten Künstlern helfen, Menschen in Finanzausschässen haben mehr Macht. Wir hatten Ohnmachtsgefühlen in Deutschland entfliehen wollen und - verloren Bierbäuche. In Deutschland werden Ökosteuern erhoben, aber keine Konzeptionen erarbeitet, um den zerstörerischen Verschleiß menschlicher Energie zu stoppen, "Es kostet mehr Energie, einen Job zu erhalten, ihn fair bezahlt zu kriegen, als zu arbeiten." Uns erreichten täglich Horrornachrichten über Sparmaßnahmen und Neuverschuldungen. Kommentar eines Wirtschaftswissenschaftlers: Das Bruttosozialprodukt stieg auch im letzten Jahr, Deutschland war noch nie sei reich.

Eine faustgroße schwarze, behaarte Spinne sah zu uns hin. Wind durchpeitschte das Auto. Ich lief nach draußen und stürzte, weil der Boden von Tieren unterhöhlt war, die Schatten gesucht hatten. Es ist gefährlich in der Wüste auf der Sonnenseite zu sein. Wir wuschen uns mit Sand, Goldglimmer lag auf der Haut. Die Quelle im Canyon war Privatbesitz; wir hätten uns einmieten müssen, um zum Wasser kommen zu können. Die Schatten, die wir werfen konnten, wurden dürr. Ein Kolibri flog hinein und blieb in der Luft stehen.

 


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