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Steppenwolfidyllen

 

Im ersten Buch "Steppenwolfidyllen" sitzt eine junge Frau im Rollstuhl. Sie durchfährt ihr Zimmer. Sie will keinen Globus, aus Angst vor der Sehnsucht. Sie hat Furcht, zwischen die Menschen zu rollen, sie ist eine Frau, doch ihre Schenkel sind schlaff. Sie hat Angst, ein Mann könnte die Sehnsucht in ihren Augen entdecken, Frauen den Neid. Sie will ihre Selbstachtung nicht verlieren. Sie bleibt im Raum. Zwei Frauen kommen zu ihr, erzählen, gehen fort. Sie notiert, was sie hörte, Momente aus einer Wirklichkeit, in der Menschen sind, die sich selbst und miteinander zu leben versuchen. Sie hört zu, notiert, indirekte Rede, Konjunktiv, sie bleibt außerhalb. Sie hört von einer Frau, die allein in die Berge stieg, blieb. Sie liest Reisebeschreibungen, Bücher ihres Vaters. In ihnen sind Stellen angestrichen, wie Menschen wo miteinander lebten. Sie spinnt aus dem Material, Sehnsüchten, Ängsten eine Seeräubergeschichte, die sie mittendrin abbricht, Seeräuber sind Aussteiger aus der Gesellschaft und müssen für Trinkwasser morden", ihren Vater aufzusuchen, mit ihm, ihrer Mutter, der älteren Generation ins Gespräch zu kommen. (Segherspreis der Akademie der Künste)

Textbeispiel:

Sie sei aus dem Zimmer über die Straße in den Park gelaufen. Plötzlich sei vor ihr Dunkles gewesen, und als sie seitwärts gesehen habe, sei ein Mann vorbeigegangen, der zwei Schafe, ein Schäflein, ein schwarzes Kälbchen durch den fallenden Schnee getrieben habe. Ein großer zottiger Hund sei hinterhergetrabt.

Sie trank, als brauche sie Entschuldigung dafür, daß sie von sich erzählte. "Ich trinke zuviel", sagte sie, wischte sich mit der Hand über die Stirn, goß mit der anderen das Glas voll.

Es sei eine Fahrt geworden, während der es heiß gewesen sei, die durch Tunnel geführt, auf freier Strecke geendet und wieder begonnen habe. Eine Maus habe sich unter den Sitzen verkrochen gehabt. Hanna habe Brotkrümel auf den Boden gelegt, die Maus sei nicht zu ihr gekommen. Der Zug habe gezuckelt. Hanna habe sich so sehr gelangweilt, "daß ich lachen mußte", als einer Frau ein Gurkenkern aus dem Mund gesprungen sei. Der Zug überheizt. Sie sei müde geworden. Ein Rucken habe sie aufgeschreckt, sie habe plötzlich begriffen, daß eine Frau sie aus ihrem Bauch „in eine Art Zug gepreßt hatte, in dem Menschen um den Platz, der am Fenster ist, von dem man vorwärts sehen kann, gelegentlich streiten, lauern." Wer am Fenster sitze, könne nicht den Gang überblicken. Wer am Fenster sei, könne, wenn es draußen dunkele, durch gespiegelte Augen in Schwarzes sehen, in dem ab und zu ein Licht aufglimme, das Sehnsucht wecke, als wäre es dort hell, warm, still, als dürfte man dort nicht nur im engen Klo Mann/Frau sein, bräuchte dort niemand Kopfhörer, Watte in Ohren, Beruhigungsmittel.

Sie sei zusammengezuckt, habe die Füße vom Sitz gegenüber genommen. Keiner von ihnen habe sich gesetzt. Die Männer, die ins Abteil gekommen seien, haben müde ausgesehen, keiner habe gelächelt, die Mütze aus dem Gesicht gezogen. Ihre Handschuhe, Fausthandschuhe, wäre der „Abdrückfinger", habe sie gedacht, nicht extra gewesen. Sie habe das Kind verstanden, das sich an eine Frau geschmiegt, geweint habe: „Böse!" - „Nicht böse." „Nur verkleidet?" habe das Kind gefragt und auf die großen, schweren Gewehre gestarrt, die über Schultern gehangen haben. Der Zug habe gehalten, Hanna hätte aussteigen können.

Der Junge neben ihr sei eingeschlafen, sein Kopf auf ihre Schulter gesunken. Er habe nach Zitrone gerochen, sie sich geborgen gefühlt, ihn streicheln wollen, sich nicht gerührt. Sie sei eingeschlafen. Als sie im Schlaf aufgewacht sei, waren die Bänke schmal, hart, hölzern Sie nackt. Sie wollte es sich nicht anmerken lassen. Der Zug zuckelte durch ein Tal. Wind drückte Rauch an die Fenster. Hinter den Sitzbänken fand sie ein Kämmerchen, in dem eine runzlige Alte saß, die in ein rotglühendes Öfchen stocherte. „Aber es ist doch Sommer." Die Alte nickte. Der Ofen stand plötzlich schwarz und kalt, sie im Kleid.

Die Tür habe geklemmt.

Hanna sei aus dem anfahrenden Zug gestiegen...

 

 


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