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Sozialamt im Schlachthof

Das Theater als moralische Anstalt.
Buh! Bäh! Pst!

Ort: Sozialamt
Zeit: Gegenwart:
Personen:
Leiter des Sozialamtes
Lotteriebesitzer
Sozialhilfeempfänger
Mann mit Moshammerperücke
Entertainer
2 Wachmänner
Geigenspieler und Ingenieur
Dichter...

Während die Zuschauer ins Sozialamt drängen, singt der Entertainer das Holzmichellied der Randfichten. Stille.

Lotteriebesitzer:
"Was ist ein Euro, den man verliert, gegen eine Million Euros, die man gewinnen könnte? Ein Millionstel. Ich verkaufe Hoffnung. Der Staat kassiert ein Drittel der Einsätze, das heißt, er könnte einen Teil der Sozialhilfe und des Arbeitslosengeldes zurückerhalten. Ich bitte um die Erlaubnis, Lotteriestände im Sozialamt aufstellen zu können. Hoffnung stabilisiert den Menschen. Wollen Sie ein Los?" Leiter des Sozialamtes:
"In der Sozialhilfe sind nur 1,42 Euro im Monat für Theaterbesuche vorgesehen. Wir sind unter uns. Wir können offen reden. Was soll aus diesem Haus werden? Es war ein Innungshaus für Metzger, es wurde zum Sozialamt gemacht. Sozialhilfeempfänger sind nicht arbeitsfähig. Kinder zu erziehen, ist Arbeit. Die Pisastudie zeigte, dass Kinder, die in ärmlichen Verhältnissen leben, leistungsschwächer sind. Zwei einzelne Personen haben laut Sozialhilfegesetz Anrecht auf einen Wohnraum von hundert Quadratmetern, Menschen, die Kinder zeugten oder zeugen könnten, nur auf sechzig, sie erhalten weniger Geld als Menschen, die nur in einer Wohngemeinschaft leben. Das ist politisch die richtige Richtung." Mann mit Moshammerperücke stotternd:
"Das ist Faschismus!"
Lotteriebesitzer: "Die ehrgeizigsten Politiker waren die ärmsten. Wenn sie ein Los kaufen, müssen sie nicht über Leichen gehen." Leiter des Sozialamtes:
"Sie beleidigen die Ermordeten. Sie werden nicht ermordet und nicht weggesperrt. Wir sollten alle Bedürftigen zu einer Bedarfsgemeinschaft erklären und ihnen Gemeinschaftsräume zur Verfügung stellen, jedem stehen zehn Quadratmeter Privatraum zu und der erniedrigte Sozialhilfesatz. Wir könnten jeden Monat einen Tag der offenen Tür organisieren, um Patenschaften von Geschäftsunternehmen und Privatpersonen zu erleichtern. Wir könnten eine Internetcam anbringen, den Zugang zur Webseite verkaufen. Bedürftige könnten sich den Lebensunterhalt verdienen, ohne auch nur eine Stunde arbeiten zu müssen und hätten das Selbstbewusstsein, niemandem zur Last zu fallen." Mann mit Moshammerperücke stotternd:
"Im Kanzleramt ist der Kanzler, im Bundespräsidialamt der Bundespräsident. Ich will, dass das Sozialamt den Sozialhilfeempfängern gehört, sie sollen mitbestimmen können, was mit ihnen geschieht."
Mann mit Moshammerperücke öffnet eine Weste, ein "Gürtel mit Sprengstoff" wird sichtbar. Die Experten weichen zurück, das Publikum wirkt wie eine Mauer. Der Mann mit Moshammerperücke zieht Geldbeutel aus den Taschen der Weste.
Mann mit Moshammerperücke stotternd:
"Was kostet das Haus? Es ist alles Eigentum, wo man lebt."
Lotteriebesitzer:
"Falschgeld. Das ist Falschgeld."
Mann mit Moshammerperücke stotternd:
"Geld wurde erfunden, um Waren und Fähigkeiten austauschen zu können. Man kann nicht sagen, daß es nicht genug Geld gibt, um Waren und Fähigkeiten austauschen zu können, man müßte sonst Geld erfinden."
Leiter des Sozialamtes:
"Wie sind Sie hereingekommen?"
Mann mit Moshammerperücke:
"Ich war auf dem Klo."
Leiter des Sozialamtes:
"Das Sozialamt schließt um 16.00 Uhr. Das ist Hausfriedensbruch."
Dichter:
"Ein Adler kreist und sucht Fleisch. Du kannst rennen, aber du brauchst ein Schlupfloch. Er stürzt sich auf dich, packt dich im Genick und bringt dich zu seinen Kinderchen, um dir das Fell abzuhacken und ans Fleisch kommen zu können. In den Krallen des Adlers bist du kein Mensch mehr, nur Fleisch und Knochen."
Entertainer:
"Ein Salzkorn mehr oder weniger auf dem Löffel verändert den Geschmack. Sozialhilfeempfänger können im Essen stochern lernen wie in einem Gourmetgericht. Sie haben Eintrittsgeld in eine alte Metzgerei bezahlt und wollen Fleisch sehen?"
Entertainer zu einem Sozialhilfeempfänger:
"Sozialhilfeempfänger können nicht arbeiten. Sie haben kein Geld für Theater, ich habe den Eintritt für sie bezahlt. Sich auszuziehen ist keine Arbeit. Man tut es täglich. Zieht euch aus! Wenn Ihr Hemmungen habt, stellt euch vor, dass ihr Schauspieler seid. Nicht Ihr zieht euch aus, sondern der Schauspieler. Das ist ein Job, in dem man nicht arbeiten muss, Ihr müsst euch nur ausziehen, wie man es täglich tut. Die Außerirdischen in den Filmen sahen nicht aus wie kuschelige Teddys. Aber wir haben E.T. Lieb gewonnen. Auch Sie haben eine Chance, egal wie hässlich sie sind, verführerisch zu sein und ein Liebling zu werden. Dieser Mann stottert, es klingt theatralisch."
Entertainer zieht einen Rollstuhl vor das Publikum,
"Ein Sozialamt ist eine Stadtbibliothek - Es gibt Bücher aus Papier, Elektronik und Bücher aus Menschenfleisch. Ein Mensch ohne Arme und Beine muss nicht sprechen, um unsere Gefühle zu erregen. Diese Frau glaubt, dass man werden kann, was man sein will und betet. Diese Frau hungert, weil sie glaubt, dass sie vergiftet wird, damit sie sich hier unwohl fühlt und nach Russland zurückkehren will. Dieser Mann braucht Drogen, um ein unauffälliger Mensch sein zu können, ohne Drogen zuckt er theatralisch. Diese Menschen müssen nicht arbeiten, um Geld verdienen zu können, Sie müssen nur sein, wie sie sind, Sie, liebe Zuschauer, gehen ins Theater, weil auf der Bühne die Wirklichkeit verdichtet ist, Sie gehen in eine Show, weil die Wirklichkeit in ihr einen Kommentator hat. Sie empfinden Ekel angesichts dieser körperlich und seelisch kranken Menschen? Es ist ein Gefühl. Gefühlslosigkeit macht den Gedanken, bereits tot zu sein. Nur ein kleiner Unfall und Sie sind im Sozialhilfestatus drin. Sie haben Hoffnung, im Lotto zu gewinnen? Es ist unwahrscheinlich. Es sind die Armen, die Lotto spielen, sie zahlen Geld, damit einer von ihnen einen Teil des Geldes gewinnen kann und entfliehen."
Lotteriebesitzer zieht ein Messer,
"Oder sie werden Politilker. Ich will entfliehen können. Kaufen Sie ein Los!"
Entertainer:
"Milliarden Menschen leben an der Armutsgrenze, Milliarden Menschen lassen sich aus Angst vor der Armut demütigen. Das ist das Feuerholz des Terrorismus, der Sie zum Krüppel machen kann. Einer schoss auf seinen Zahnarzt, weil er glaubte, daß er nur den einen Wurzelstrang vom Zahn behandelt hatte, um die Behandlung der Wurzel zweimal abrechnen zu können, er hatte an Schmerzen leiden müssen, ein anderer stach auf eine Angestellte des Jobcenters ein, sie war glücklich, dass sie so fett war, dass er mit dem Messer nicht an ihr Herz kommen konnte und brach den Abmagerungskurs ab. Ich habe inzwischen mehr Angst, von einem abstürzenden Menschen als von einem losen Dachziegel erschlagen zu werden." Entertainer winkt,
"Hallo! Ich habe Sie gesehn, Herr Intendant. Ich habe Eintritt in dieses Theater bezahlt, um Sie zu sehen. Nehmen Sie mich als Showmeister. Ich bin billiger als Harald Schmidt. Die einen gucken hin, weil sie wissen wollen, was mit ihnen geschieht, die anderen, weil es sie interessiert, was mit ihnen geschehen könnte. Ingenieur: Ich sagte, wenn alle Arbeitslosen ins Wasser gehen, steigt das Seewasser bis zur Villa des Bundeskanzlers. Hunderte Arbeitslose gingen ins Wasser, um den See steigen zu lassen. Ich werde den Sozialhilfeempfängern, die an der Show teilnehmen, Sozialhilfe und einen Zuschlag bezahlen, wenn Sie mich für eine Fernsehshow engagieren. Es wäre ein gutes Werk. Sozialhilfeempfänger können nicht arbeiten, aber wir könnten sie zu einem vollwertigen Mitglied unserer Gesellschaft machen."
Auftritt Ingenieur und Geigenspieler:
Ingenieur:

"Warum willst du dich auffressen lassen?"
Geigenspieler:
"Ich will nicht, dass Maden mein Fleisch fressen."
Ingenieur:
"Warum willst du tot sein?"
Geigenspieler:
"Meine Seele stößt an, es tut weh. Ich kann die Seele in den Himmel aufsteigen lassen, sie lassen mich aber nach Hundekot suchen, damit ich Geld für Miete und Essen kriegen kann."
Ingenieur:
"Ich wollte auch einen fair bezahlten Job. Das Getriebe hat sie zerfetzt, ich wäre froh, eine Seele zu haben."
Der Ingenieur schlachtet den Geigenspieler, stopft das Fleisch in sich, Ingenieur: "Ich hoffe, - drin ist ein Rest Seele."
Er greift nach der Geige, sie quietscht.
Entertainer:
"Einer weniger auf dem Arbeitsmarkt. Der Totschläger muss in den Knast. Ein Arbeitsloser kostet den Steuerzahler einen Bruchteil eines Strafgefangenen."
Auftritt Fleischer/Wachmänner:
Wachmann1:
"Wir hatten fachgerecht schlachten gelernt. Sie haben von unserem Lohngeld Steuern kassiert, sich als Arbeitslohn gegeben und in ihrer Arbeitszeit Gesetze gegen uns gemacht: Sie haben die Billiglohnarbeiter über die Grenze in die Fabrik bringen lassen, damit sie ihr Fleisch noch billiger haben können, und wir waren entlassen. Die Fremden hausten im Wald, wir müssen Miete für die Wohnung verdienen, weil wir dem Arbeitgeber fürs Finanzamt eine Wohnadresse vorlegen müssen. Dort, wo Krieg ist, kriegen wir viel Sold und sind ausgebildet, wenn der Krieg hierher kommt. Kommst du mit? Wir sollten ihn dazu bringen, dass er gesteht, dass er ein Mädchen vergewaltigt hat."
Wachmann2:
"Aber er hat nicht vergewaltigt."
Wachmann1:
"Wenn er gesteht, was er nicht getan hat, hätten wir unsere Arbeit getan. Er würde bestraft. Abschreckung verhindert Kriminalität."
Wachmann 1 zwingt den Sozialhilfeempfänger in Seife zu beißen,
"Ich habe sie immer bei mir, man weiß nie, wo man hingreift, wenn man sich plötzlich festhalten muss. Du bist verdreckt, mache dich sauber!"
Sozialhilfeempfänger kotzt.
Wachmann1:

"Er hat vor Angst eingeschissen. Nun bist du noch dreckiger. Wenn er mit einer Klobürste gefickt ist, ist er kein Mensch mehr, der dir in die Augen sieht, um deine Schwäche zu finden, weil er Klobürstenmenschen gebären müsste, falls sie Samen hätten und er fruchtbar wäre. Wir müssen den Krieg üben, weil der Krieg zu uns kommen kann, ob wir wollen oder nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass eine Jobagentur uns zu 1-Euro-Wachmännern für 1-Euro-Bordelle für Sieche machen kann."
Entertainer:
"Fleisch ist Fleisch."
Entertainer zum halbentblößten Sozialhilfeempfänger:
"Draußen steht der Holzmichel. Woll morn reinlassen? Dann bistde hier nicht mehr so allein. Lebt den der alte Holzmichel noch? Ja er lebt noch, stirbt nicht. Und bei dem Ja er lebt noch ham mor uns immer so gefreut da simmor immer aufgesprung, ham die Arme hochgerissen und uns gefreut über das Leben des Michels.
Er wollte Förster werden, aber er sollte eine Zukunft haben, so wurde er Monteur, der Lohn war nicht hoch, um den Betrieb in der Gesellschaft zu retten, sollte er Lohnverzicht üben, er träumte von der weiten Welt, er hätte aus Geldgründen nur in Neubaublöcke mit Massenspeiseräumen reisen können, er ging an Wochenenden in den Wald.
Lebt denn der alte Holzmichel noch, Holzmichel noch, Holzmichel noch, lebt denn der alte Holmichel noch Holzmichel noch? und alles hoch! Ja er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, nochemal: ja er lebt noch, er lebt noch, stirbt nicht.
Im Betrieb wurde er durch eine Maschine ersetzt und arbeitslos gemacht, das hat er nicht verkraftet, dass er sich nicht selbst ernähren konnte, obwohl er stark war, er wusste, dass niemand im Deutschen Wald leben darf, er hat sich im Wald versteckt, niemand hat ihn gefunden, auch als er krank war, wusste niemand, wo er war, wir konnten ihm keine Arznei bringen.
Uns blieb nichts weiter übrig als das Lied nur noch zu summen und das mach mor jetzt bitte gemeinsam. hm hm mmmm......
Ja er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, ja er lebt noch, er lebt noch stirbt nicht.
Dann sind die Jäger gekommen und haben den Wald lichten lassen und geschossen. Unser Holzmichel war kurz später wie tot. Er lag also jetzt unten auf der Erde, hat kein Mucks mehr gesagt, Augen verdreht, alles. Ach mir dachten jetzt isses so weit und in Anbetracht der Situation die ja nicht mehr schön war ham mor uns dann entschieden das Lied nur noch zu schweigen. Ab jetzt. ......
Ja er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, ja er lebt noch, er lebt noch stirbt nicht.
Nun sind Wochen, wenn nicht gar Monate vergangen. Wir ham nüscht mehr von unserm Michel gehört. Mir ham uns dann das entsprechende Tagesblatt bestellt, um nachzuschauen, wann steht er denn drinne. Ja und als mor da nüscht lesen konnten, ham mor uns ä Sträußel Blumen genommen und sei wieder naus in Wald um die letzte Ruhestätte unseres Michels zu suchen. Mit einmal hör ich so ein Geräusch, so ein Klopfen. Da dacht ich: Mensch, der Michel hat doch egal Holz gehackt. Wird er sich denn wieder erholt ham? Ich geh näher ran. Auf einmal erkenn ich ihn wieder und dank unserer Pflege und eurer Hilfe hat er sich doch tatsächlich wieder erholt. Er ließ einen Schwarzen Holz hacken, der heimlich überleben mußte. Wir haben ihn nicht verraten. Und lasst uns noch mal ein Loblied singen auf unsern Michel, bitte noch einmal mit voller Kraft:
Lebt denn der alte Holzmichel noch, Holzmichel noch, Holzmichel noch, lebt denn der alte Holmichel noch Holzmichel noch. Alles nach oben Ja er lebt noch, er lebt noch, er lebt noch, ja er lebt noch, er lebt noch stirbt nicht." Das ist die deutsche Hymne, die Hoffnung macht."
Licht geht aus, an.
Entertainer: "Der Dichter wird am Ausgang mit dem Hut Geld sammeln, damit der Dramatiker aus dem Sozilahilfestatus kann."

 

 


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